Italienische Reise 2022
Römisches Leben – SPQR (V.)
Jeder Kanaldeckel ziert sie, die vier Buchstaben, doch eine wohlgeordnete, lärm-reduzierte Stadt ist etwas anderes. Ihr Verkehrsproblem löst die Kommune Roma nicht, jedenfalls nicht kollektiv, individuell schon. Ein fein abgestimmtes Konzert aus Gestik, Mimik und Augenrollen regelt den Konflikt, friedlich. Soziale Intelligenz und ein Schuss Theatralik bewältigen so manchen Unbill des Alltags, zeitaufwendig, aber wirksam, ein Erlebnis für Zuschauer – Sono Pazzi, Questi Romani, die spinnen, die Römer (Quelle: Obelix, Lutetia).
Auch auf Blumenkübeln der Stempel Roms
Nichts für nordische Gemüter, die suchen eher Luft, Raum und Ruhe, wie halt in Ostia Antica, dem von den Kaisern Claudius und Trajan angelegten Meereshafen Roms. Eine halbe Stunde mit der Regionalbahn ab der Pyramide und man schlendert durch die größte Fußgängerzone Italiens. Die offengelegten archäologischen Ergebnisse überbieten in Teilen diejenigen Pompejis und Herkulaneums fulminant. Der versandete und wegen Malaria verlassene, gewaltigste Güterumschlagplatz des alten Rom offenbart dem aktuellen Besucher alles, was eine antike Stadt am Meer zu präsentieren vermag: Garküchen, Pinten und WCs, Mühlen und Bäder, reihenweise Groß-Speicher, eine Vielzahl von Handwerksbetrieben und schmucke Bürgerhäuser, selbstredend Forum, Tempel und Theater. Hier wurde richtig Geld gemacht und abgeschöpft. Globaler Handel lebt von Preisdifferenzen, und Wasserwege bieten die kostengünstigste Transfer-Chance. Wohlstand und philosophischer Geist zeigt sich in Bibliotheken und raffiniert ausgestalteten Atrien, Peristylen und Triklinien im paradiesischen Spiel von Licht und Schatten, von Mosaik- und Freskofarben, von Skulpturenformen, blühenden Rabatten und gurgelnden Gartengewässern. Doch, woher kam das Wasser? Trübes Tibernass war ungenießbar und weit und breit schwingt sich kein Aquädukt durch das Land. Ostias kluge Bürger sammelten fleißig Regenwasser in Zisternen, verteilten es sorgsam und führten es gebraucht gefahrlos wieder ab, eine unterirdische Wasserwelt also, erbaut von kundigen Spezialisten, und es funktionierte, dank eines niederschlagsreichen Klimas und vor allem eines wachen Senatus Populusque Ostiensis, SPQO.
Zisternenwasser – die Aorta des röm. Seehafens Ostia Antica
Beim Abschied aus der verlassenen Hafenstadt fiel uns eine merkwürdige Tatsache in die Sinne: Kein Möwengeschrei drang an unser Gehör und kein einziges Möwengefieder bekamen wir zu Gesicht, ganz im Gegensatz zur Ewigen Stadt, die ob ihres Möwengeschehens gleichsam wie eine stinknormale, meeresnahe Hafenstadt daherkommt. Sollten Möwen etwa dem Müll folgen? Die letzten Bürgermeister Roms jedenfalls scheiterten am selbigen Problem, wenn auch der jetzige, ein gelernter Geschichtsprofessor, sicht- und hörbare Erfolge aufweist – sollte er etwa aus der Geschichte gelernt haben?
Ante portas römischer Mauern entfaltet sich ein weiteres möwenfreies, archäologisches Highlight, Hadrians Garten, ein kaiserliches Pendant zur bürgerlich-handwerklichen Handelskommune Ostia. Die Villa Adriana, als monumentale Sommerresidenz auf einer ca. 120 Hektar großen Fläche unterhalb von Tibur (Tivoli) ab 120 n. Chr. erbaut, ist mit vier Aquädukten und Thermalquellen versehen, um eine Gladiatoren-Arena und Großthermen, ein See-Theater, Blumen- und Fischteiche, einen Piazza d’Horo gerahmt von 60 Säulen, Wohnpaläste inklusive Feuerwache mit kühlem Frischwasser sicher zu versorgen, selbst im heißesten Trockensommer.
Tausende Abhängige und Sklaven schufteten der Luxus-bedürfnisse einiger weniger Geladener wegen in bis zu sieben Meter reichenden unterirdischen Versorgungsgängen, der privilegierte Müßiggänger mochte seine ihm gemäße Muße nicht durch Malochende gestört wissen. Und wozu das alles? Einzig um den Repräsentations- und Ewigkeits-gelüsten eines Reise- und Bau-Kaisers zu genügen, der die architektonischen Schönheiten ‚seines’ legionsgestützten Imperiums von der Themse bis zum Euphrat, von York bis Palmyra, in ‚seinem’ Villenkomplex zu versammeln suchte, von Ziegel-Mauern und philosophischen Werken umzingelt, als Herr über Mensch und Natur, Körper und Geist – überwältigend noch als Ruine, herrlich anzusehen und zu studieren, nicht umsonst krönt die UNESCO die Villa Adriana zum Welterbe der Menschheit.
Der Römer Carlo Pacella, ehemals Bürger Hildesheims, vor einem Modell der Villa Adriana
Was damals z. T. Elend und Jammer war, dient inzwischen der freudvollen Muße Vieler. Menschliches Dasein erscheint als ambivalente Unternehmung, damals wie heute.
Zum vergnüglichen Nacherleben ein Besuchshinweis: Das von der Wirtschaft gesponserte ‚Hadrianeum’ auf dem Marsfeld, steigt mit Hilfe von sehenswerter 3-D-Installation und ausgewählten Rekonstruktionen in die Epoche Kaiser Hadrians ein, die Lebenszeit lohnt, Eintritt ist frei. (Werner Dicke & Kristina Osmers)
Anmerkung der Redaktion: Die vollständigen und bebilderten Essays ‚Italienische Reise 2022‘ von Werner Dicke und Kristina Osmers sind als Sonderdruck des „Jahrbuchs für Geschichte und Kultur“ im Gerstenberg Verlag erschienen. (zen)