Lyrikecke
Im Welschlande
Ihr Helden, ruhm- und tatenreich,
Normannenfürsten, ihr kecken,
Als ihr gründetet dieses sizilische Reich,
Was wart ihr für herrliche Recken!
Und du, o gefürchteter Genserich,
Ihr kühnen Vandelenhorden,
Was seid ihr im tropischen Himmelsstrich
Für schnöde Memmen geworden!
Die Mannskraft, mit der ihr Reiche nahmt
Mit schneidigem Schwersteshiebe
Und Völker warfet, sie ist erlahmt
In den üppigen Kämpfen der Liebe.
Ihr lerntet Flöten- und Saitenspiel
Und lerntet Weiber küssen!
Drum habt ihr nach ruhmvoll errungenem Ziel
So schmachvoll enden müssen.
Ihr laget lüsternen Frauen im Schoß
Und seufztet Liebesgedichte…
Im Grunde gibt es kein tragischers Los
In der ganzen Weltgeschichte!
Auch du, o deutsche Ritterschaft,
Ihr markigen Hohenstaufen,
Verlort im Welschland die beste Kraft
Und verlerntet das Herrschen und Raufen!
Die Gärten des Südens, sie duften zu stark,
Hier lispeln zu süß die Töne
Der Liebe; das frißt sich wie Gift ins Mark
Der gewaltigen Nordlandsöhne.
O Weib, schließ deinen Sirenenmund
Und die Glieder laß unentkleidet:
Mir ist in der Seele tiefstem Grund
Dieser südliche Zauber verleidet.
Heinrich Leuthold (1827-1897)
Ausgewählt von Wolfgang Gerster