Italienische Reise 2022

Italienische Reise 2022

Caput Mundi – noch immer (II.)

Ponte Sisto, mit Bick auf die Peterskuppel und den Gianicolo oben links, ist allein Fußgängern vorbehalten (erbaut 1473 unter Papst Sixtus IV.)

Endlich am römischen Tiber leben, wenn auch nur für drei Wochen, ein erster Versuch sollte es sein. Kaum angekommen, sahen wir uns genötigt, diesem Moloch einer Weltstadt des Tourismus und Individualverkehrs durch Flucht zu entkommen, indem wir Menschenströmen auswichen und uns den Wasserströmen des reißenden Tibers hingaben. Durchaus die meisten Besichtigungsgänge könnten Rom-Besucher mit Genuss am befestigten Ufer bewältigen: Platanen bewachsen, verkehrslärmgedämpft und feinstaub-gefiltert, unter herrlichen Brücken und einem Dauerkonzert von Weißkopfmöwen – by the rivers of old-roma. Von Joggern lernen heißt neu sehen und genießen lernen, die tiefliegenden Ufer des Tevere machen es möglich. Wie der alte Strom, so fließt auch die Geschichte der Menschen durch unbekannte Klüfte und in offene Zukunft. Der Tiber könnte erzählen, wie sich frühe Siedler an seiner Furt niederließen, mit seinem Hochwasser rangen, ihn schiffbar machten und als Abwasserweg der Cloaka Maxima nutzten, um Handel und Wandel voranzutreiben. Der Tiber, er konnte Leben geben, aber auch nehmen, großartig das geradezu modellhaft erscheinende Narrativ menschlichen Daseins. Großartig eingekleidet in das mythische Gewand der Zwillingsbrüder Romulus und Remus, die in einem Körbchen ausgesetzt ihrem Schicksal entgegen schwammen, von einer Wölfin gesäugt und einem Hirtenpaar aus dem Flusswasser errettet und aufgezogen, schließlich Rom gründend auf seinen sieben Hügeln. Ehrsucht aber führt zum Brudermord, ausgelöst durch die von Romulus gezogene Grenzlinie: ‚So soll jeder Feind verderben, der die Mauern meiner Stadt übersteigt’.

Wann immer Menschen sich in Städten ballen, müssen sie zwei Grundprobleme lösen, das Problem der Gewalt und das Problem der Seuchen. Rom regelte das Gewaltproblem, indem sie es a la longue nach außen verlagerte, die Stadt wurde integrierendes Weltreich. Das Epidemieproblem hingegen regelte man durch Desintegration, durch Absonderung der Kranken von den Gesunden.

Rom um 315 n.Chr. – Tiberinsel mit Doppelbrücke, Marcellus-Theater in der Mitte, links der Circus Flaminius, rechts unten Forum Boarium und Eingang zum Circus Maximus, oben rechts Tempel des Jupiter Capitolinus (G. Challet, Das Rom der Kaiserzeit, 2007)

So diente die Tiberinsel während der Pestepidemien als Quarantäne-Station schon in der Antike. Im frühen 3. Jh. v. Chr. wandten sich die Römer deshalb hilfesuchend an das Äskulap-Heiligtum von Epidauros. Rat und Beistand wurden gewährt und die Tiberinsel erhielt Tempel und Sanatorium, selbstredend dem Heilgott Äskulap geweiht. Christus und den Heiligen Adalbert und Bartholomäus weihten Fromme um 1000 n. Chr. eine Kirche auf den Resten römischer Ruinen.

Der Stifter, Kaiser Otto III., und sein Erzieher und Berater Bischof Bernward von Hildesheim weilten am Tiber, den Gandersheimer Klosterstreit beilegend sowie die Insel-Stiftung ausstattend mit Reliquien der beiden Heiligen. Im 13. Jh. wanderte des Apostels Schädeldecke über die Alpen in den späteren Kaiserdom zu Frankfurt, mit dem neuen Patrozinium, der Schutzherrschaft von St. Bartholomäus. Damit gehört die Stadt am Main zu den auserkorenen Städten mit Apostelreliquien wie etwa Santiago de Compostela oder Rom. Nicht umsonst wird der Frankfurter Dom, die Karolingerpfalz Aachen langsam verdrängend, zur Wahl- und Krönungskirche römisch-deutscher Kaiser bis 1806. Aus dieser Sichtweise erstrecken sich religiös-politische Kontinuitätslinien von der antiken Isola Tiberina bis ins mittelalterliche Hildesheim des Alten Reichs und heil-medizinische Traditionen bis hinein in die Gegenwart. Krankenpflege wird bis auf den heutigen Tag auf der Insel betrieben durch die Fatebenefratelli und den Hospitaliers of Saint John of God, im barocken Kleid einer modernen Klinik und menschlich zugewandter Atmosphäre. Verfolgten Juden aus dem nachbarschaftlichen Ghetto sollen sie während des Holocausts Unterschlupf gewährt haben mittels einer fiktiven Diagnose, Syndrom K. Die in KZs Ermordeten werden erinnert, in messingfarbenen Stolpersteinen – kleine Zeugnisse jüdischen Lebens, aber unvergessen.

Die Isola Tiberina heute, ein reizendes römisches Angebot, das man einfach nicht ausschlagen kann, gesetzt, wasserumspülte, blattgrün-überschirmte Promenaden sind gesucht, gepaart mit doppelbogiger Brücke eines curator viarum (Straßeninspektors) namens Lucius Fabricius aus dem Jahre 62 v. Chr. und, vor allem, ruhigen ristoranti oberhalb unruhiger Stromschnellen – Romantik pur, Parole R.

Außerdem gilt es, ein Doppel-Geheimnis zu lüften, das auch kein Baedeker preisgibt. Ein kleiner reliefierter Marmorbrunnen aus dem 11. oder 12. Jahrhundert, sanft eingelassen in die Altarstufen von San Bartolomeo, schenkt uns ein Konterfei von Kaiser Otto III. Wer von den vier im Hochrelief dargestellten Personen könnte der jung verstorbene deutsche Kaiser sein? Hinweis: Er trägt außer Zepter und Krone keinen Reichsapfel, sondern eine Scheibe, auf der eine Zeichnung erkennbar ist. Was soll jene Zeichnung wohl abbilden?

Eine marmorne Pretiose in San Bartolomeo, der Brunnen-aufsatz aus dem 11. oder 12. Jh., mit einem Abbild Kaiser Otto III., dem Zögling und Gastgeber Bernwards von Hildesheim

Zu guter Letzt, sein Reformplan einer ‚Renovatio Imperii Romanorum’ mit der Hauptstadt Rom war zu jener Zeit revolutionär, er starb darüber an plötzlicher Fiebererkrankung nicht weit von Rom, noch keine 22 Jahre, unverheiratet und kinderlos. Dennoch, die Geschichte ging weiter ihren Gang, ohne ihn. Fortsetzung folgt.

(Werner Dicke & Kristina Osmers)

Anmerkung der Redaktion: Die vollständigen und bebilderten Essays ‚Italienische Reise 2022‘ von Werner Dicke und Kristina Osmers erscheinen nach Aussage des Gerstenberg Verlages im nächsten Sonderdruck ‚Aus der Heimat‘. (zen)

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