Italienische Reise 2022

Italienische Reise 2022

Bernward, Rom und die Idee Europa (VII.)

Antike Fabricius-Brücke und Glockenturm von S. Bartolomäo auf der Isola Tiberina

Auf Kaiser Otto III. Einladung hin weilte Bischof Bernward von Hildesheim im Jahre 1001 n. Chr. ein zweites Mal in der Stadt der Apostel, vermutlich auf dem Aventin in unmittelbarer Nachbarschaft von Santa Sabina unweit der Isola Tiberina. Welche Bedeutung besitzt Bernwards Besuch für uns Lebende? Sein künstlerisches Genie erfuhr an diesem Ort einen doppelten Impuls. Die Tür zu Santa Sabina (um 430 n. Chr.) schenkte ihm den Gedanken einer biblisch bebilderten Paradiespforte, die kaiserlichen Triumphsäulen (2. Jh. n. Chr.) mit den sie tragenden umlaufenden Reliefbändern kriegerischer Siegestaten legten ihm, antithetisch, die Liebes- und Wundertaten Jesu in Form einer Christussäule nahe. Was die spätantiken und frühmittelalterlichen Künstler in Zypressenholz schnitzten oder in Marmor meißelten, goss Bernward in goldschimmernde Bronze. Auf diese Weise gelangten antike Formideen und frühchristliches Gedankengut über die Alpen nach Hildesheim, wo sie Bernward neu formte und theologisch-typologisch formierte, in einzigartiger Weise, Welterbe, zu Recht.

Hier wurzeln christliche Spuren eines gemeinsamen geistigen Fundaments, wir Europäer sind, was wir geworden sind. Daneben fundieren Spuren der Antike europäisches Denken und Handeln. Die römische Lieblingslektüre Kaiser Otto III., Bernwards Zögling und Gerberts Student, waren die Schriften Ciceros. Noch heute sprechen sie zu uns in einer verblüffenden Frische und erstaunlichen Aktualität. Wenn Cicero despotische Herrscher akribisch charakterisiert als von Macht- und Ruhmsucht Getriebene, die um ihres grenzen-losen Egos willen Städte plündern und Landschaften zerstören, dann erinnert die Diagnose beileibe nicht nur an Machthaber seiner blutigen Bürgerkriegszeit. Spätere Kaiser und Könige, Präsidenten und Feldherrn, und selbst Päpste lassen sich problemlos einreihen in jene Schneise der Gewalt autokratischer Willkür. Ein zeitloser Cicero kommt deshalb zu dem überzeitlichen Schluss, die Aufgabe eines wahrhaft großen Mannes sei es, ‚in aufgeregten Situationen die Schuldigen zu strafen, die Menge zu schonen und in jedem Fall die Regeln des Rechts und der Moral zu wahren’ (De officiis, I, 82). Selbst und gerade im Krieg muss also dem Recht Geltung verschafft werden, wenn wir unser Menschsein nicht aufgeben wollen – das ist Kerngehalt des modernen Völkerrechts, ein immerwährender Auftrag.

Unter’m Angesicht der markanten Porträtbüste Ciceros des Museo del Capitolino feierte die Stadt Rom auf dem Campidoglio am 9. Mai ein Europa-Fest für den Frieden. Welch vorzüglicher Einfall, welch Kontinuität in Stein und Geist! Im aufscheinenden Abendlicht bei klassischen Klängen gedachte man der Gründung Europas mit Installationen des Lichts vom blauen Banner und seiner zwölf kreisenden Goldsterne, projiziert auf die barocken Fassaden Michelangelos, der bronzene Marc Aurel in den Sternenkreis quasi hinein reitend, majestätisch die Zukunft weisend in Gerechtigkeit und Milde – römische Antike scheint wieder aufzuerstehen als Modell und Vorbild für Gegenwart und Zukunft?

Pathos in humanitärer Absicht für die gemeinschaftlichen Anliegen der Menschheit. Warum nicht, für was sonst? Hätte Michelangelo wissen können, welch anmutigen Klangraum sein exzellenter Kapitolsplatz dereinst einem Musik-Ensemble gewährt, er hätte als Mann der Wirkung und der Ideale sich wohl kaum verweigert. Fortsetzung folgt.

(Werner Dicke & Kristina Osmers)

Anmerkung der Redaktion: Die farbig bebilderte Gesamtpublikation der „Italienischen Reise 2022“ von W. Dicke u. K. Osmers soll im „Hildesheimer Kalender“ 23 erscheinen, er geht im Dezember 2022 in Druck.

Die Trajan-Säule schildert die Eroberungszüge gegen Daker (101 – 106), sie inspirierte Bernward bei seinem Entwurf der Christus-Säule
Die Kommentare sind geschlossen.