Ein Geburtstag vor 1900 Jahren Was hat Marc Aurel mit Hildesheim zu schaffen?
Zum Erben bestimmt und zur Weisheit berufen ward er geboren im Zentrum der Welt, im vierten Frühling der Herrschaft Hadrians, nach unserer Zeitrechnung am 26. April 121 n. Chr., vor genau 1900 Jahren.
Bernward von Hildesheim (um 960 – 1022) ließ sich von seiner kaiserlichen Ehrensäule in Rom inspirieren, Helmut Schmidt verschlang seine Betrachtungen des Selbst im Kampfgetümmel des hitlerschen Vernichtungsfeldzuges im Osten. Der Philosophen-Kaiser (121 – 180) hielt sich vom freien Germanien fern, doch der Hildesheimer kam ihm während einer Dienstreise zum Heiligen Stuhl 1001 entgegen. Bernward übernahm die erzählende antike Bildsprache in seiner Christus-Säule, freilich für einen gänzlich anderen Zweck. Nicht die grausam-blutigen Ruhmestaten eines römischen Feldherrn, sondern die Liebestaten eines Wanderpredigers aus der Randprovinz Palästina sollten verkündet werden: Frieden statt Gewalt, Heilung statt Zerstörung, Erlösung statt Resignation. Beide arbeiteten sie für die Ewigkeit, der Kaiser in Carrara-Marmor, der Bischof in goldfarbener Bronze. Marc Aurel lässt seine imperialen Kriegszüge gegen Germanen und Sarmaten auf einem Spiralband der Säulenhaut von links unten nach rechts oben aufführen, im Gegenzug leitet Bernward die Wohltaten Christi von rechts unten nach links oben. In großen Gesten formten beide menschliche Grundsituationen, historische Ereignisse, Wundertaten – expressiv und dramatisierend. Entgegen ihres auf Nachruhm setzenden Tuns waren Kaiser und Bischof sich ihrer unzulänglichen, nichtigen Existenz bewusst. Bernwards Grabplatte schmückt seine Inschrift: „Asche nur bin ich und Staub. Ach, des erhabenen Amtes habe ich nicht würdig gewaltet!“ Und der Stoiker schließt seine Selbstbetrachtungen: ‚Mensch, du bist in diesem großen Weltenstaate Bürger gewesen … ‚Aber nur in drei von fünf Akten konnte ich meinen Part spielen’. Beide betonen epochenübergreifend ihre Pflichten gegenüber ihrem Gott und der Gemeinschaft. Alt wurden sie nicht, aber erfüllt, vielleicht auch ein klein wenig weise. (Werner Dicke, StR a.D.)
Geburtstagsgruß an einen Lebenskünstler und –könner, Marc Aurel!
Gesund war er nicht, alt wurde er auch nicht, aber ein klein wenig weise war er denn doch.
Wie hilft sich der Weise in einer Krise?
a) Er prüft seine Emotionen, wie Wut, Empörung, Niedergeschlagenheit: Was ist das, was jetzt diese Vorstellung in mir erregt? Welche Tugend muss ich ihnen gegenüber geltend machen? Er ermahnt sich selbst gegenüber vorschnellen Emotionen.
b) Er fragt sich, woher die Ereignisse rühren: von Gott, von der durchs Schicksal gefügten Verkettung der Dinge, von einem zufälligen Zusammenfluss von Umständen, von einem Zeitgenossen unserer Gattung? Er ermahnt sich selbst gegenüber voreiligen Urteilen.
c) Er unterscheidet zwischen dem, was an uns liegt und dem was nicht, was meiner Handlungskontrolle unterliegt und was nicht. Er ermahnt sich stets selbst, Dinge hinzunehmen, die er nicht ändern kann und Dinge zu ändern, die in seiner Macht liegen.
d) Er überdenkt, welchen Ort mein Selbst im Rahmen des Krisen-Ereignisses eigentlich beschreibt. Er empfiehlt, einen erhöhten Standpunkt einzunehmen, sich einen Blick von oben anzueignen, sich die Welt als Ganzes vorzustellen.
e) Er zieht ein vorläufiges Fazit: Nichts bleibt wie es war, alles unterliegt dem Wandel. Das Leben des Menschen ist ein kontinuierliches Projekt der Selbstvervollkommnung, herausgefordert von wechselnden Umständen. Ob dabei dauerhaftes Lebensglück anfällt, liegt nicht immer an uns. Besonnenheit und Gelassenheit können hilfreiche Tugenden sein, das Streben nach Scheingütern zu vermeiden.
(Quelle: Marcus Aurelius, Selbstbetrachtungen (Hrsg. A. Wittstock), Stuttgart 1993) (Werner Dicke)