Lyrikecke

Lyrikecke

Abschied von Venedig

 

Noch tief im Morgenschlummer ruht

Die Königin der Meeresflut,

Kaum hie und da ein Ruderschlag,

Der Gruß von einem Gondolier,

Der über Nacht zufrieden hier

In seiner Barke lag,

Verkündet schon den Tag.

 

Aus Nischen flackert hie und da

Ein Schimmer, dem Erlöschen nah,

Zuweilen schmettert wie im Traum,

Man weiß nicht wo, mit süßem Schall

Ihr letztes Lied die Nachtigall.

Zuweilen winkt ein Blütenbaum

Von stiller Höfe Raum.

 

Leb wohl nun, stolze Stadt im Meer,

Von dir zu scheiden wird mir schwer;

Bei diesem Glas voll Sonnenglut,

Bei diesem Glas voll Malvasier,

Für manchen schönen Traum in dir

Hab‘ Dank, du Fee der Meeresflut –

Für jeden Blick, der mir gelacht

Aus deiner Augen Nacht!

Hermann von Lingg (1820-1905)

Ausgewählt von Wolfgang Gerster

Die Kommentare sind geschlossen.